Die Hochtour über den Mittellegigrat auf den Eiger musste von André Beyeler zweimal verschoben werden. Dieses Jahr passte nun das Wetter.
Als erste Seilschaft machen sich Daniel Freudiger und ich am Donnerstagmittag auf den Weg Richtung Grindelwald. Von der Bahnstation Alpiglen gelangen wir über einen Klettersteig in die gemütliche Ostegghütte. Es bleibt uns noch genügend Zeit den ersten Teil des Mittellegigrates auszukundschaften, einige Steine als Wegweiser aufzustellen und den Ausblick hinunter nach Grindelwald zu geniessen.
Am nächsten Morgen um halb sechs nehmen wir die geschichtsträchtige Route Richtung Mittellegihütte in Angriff. Nach den ersten Schritten erinnere ich mich an die spät-abendliche Hüttendiskussion auf einer anderen Tour bei der einer meinte: "Bärgstige am Morge isch immer e Schissdräck". Nachdem wir die ersten Meter im Schutt hinter uns haben stehen wir auch schon auf dem Grat, welcher von Grindelwald aus gesehen so unbezwingbar wirkt. Beidseitig geht es fast senkrecht mehrere hundert Meter in die Tiefe. Wir passieren die bekannte Stelle, wo die Erstbegeher bei einem ihrer Versuche noch scheiterten und erst später ein Loch in der Wand fanden, welches sie mit Hammer und Meissel erweiterten. Hier robben wir den Rucksäcken hinterher, die wir vor uns durchs Loch zwängen und stehen ohne Vorwarnung auf einem Absatz im senkrechten Fels. Erst von weitem, als wir unseren Blick nochmals zurück schweifen lassen, realisieren wir wie exponiert die Stelle in Wirklichkeit ist.
Kurze Zeit später fordern uns zwei pfiffige Seillängen im senkrechten Fels. Neben Klettertechnik sind hier auch starke Nerven nötig. Die Kulisse lädt geradezu zum Fotografieren ein. Wir geniessen den restlichen Aufstieg, machen ausgiebig Rast und immer wieder einen Fotohalt. Am frühen Nachmittag erreichen wir die Mittellegihütte.
Am Nachmittag treffen von der Bahnstation Eismeer her kommend André Beyeler, Amédée Cina, Jörg Koller und Leander Metry in der Hütte ein. Sie füllt sich bis am Abend fast komplett. Wir essen mit der ersten Schicht und geniessen die Bewirtung durch die westschweizer Hüttenwartin. Aus dem Wallis ist noch eine Flasche Weisswein von der guten Sorten mitgereist, welche nach dem Abendessen ausgeschenkt wird.
Am nächsten Morgen lassen wir die Bergführer mit ihren Gästen ziehen und stellen uns zuhinterst an. Vorsorglich werden noch Finger bandagiert, die am Ende der Welt auf über fünftausend Meter zu lange an der frischen Luft waren oder bei der Verarbeitung von Brennholz Schaden genommen hatten. Die Seilschaft Freudiger-Christen erkundigt sich zu diesem Zeitpunkt nach den Abfahrtszeiten für Talfahrten ab der Station Eismeer und sucht nach Medikamenten gegen Kopfschmerzen, wie sie bei Höhenkrankheiten auftreten.
Auf dem Mittellegigrat sind die Lichter der Stirnlampen vorausgegangener Gruppen zu sehen. Eine eigentümliches Treiben hier oben über dieser fast senkrechten Wand, die weiter vorne so lange als noch letztes ungelöstes Problem der Alpen galt. "Bärgstige am morge... " denke ich, noch nicht ganz wach und verfolge wie sich unsere beiden Seilschaften anseilen und die letzten Dinge im Rucksack verstauen.
Freudigers Kopfschmerzen sind wenig später unter Kontrolle und wir entschliessen uns Richtung Eiger aufzubrechen. Schon bald holen wir die Silberrücken-Seilschaft mit André und Amédée ein. Der Aufstieg verläuft in ähnlich brüchigem Fels wie am Tag zuvor. Am Vortag waren Freudiger und ich fast alleine unterwegs gewesen, in einer regelrechten Menschenmenge befinden wir uns heute und wir hangeln uns den Tauen entlang dem Gipfel entgegen. Wir fühlen uns wie vom Pilzsammler-Weglein kommend auf die Autobahn einbiegend. Der Aufstieg ist auch hier ausgesetzt, die Wand noch steiler als im ersten Teil und der Blick in die Tiefe noch eindrücklicher. Auf dem Gipfel stossen wir zu Leander und Jörg, essen etwas und geniessen die Sonne an einem windgeschützten Plätzli südlich des Gipfels. Die Altherren lassen sich Zeit, gönnen sich auf dem Gipfel aber nur eine kurze Pause und wir beginnen gemeinsam den Abstieg über die Eigerjöcher auf das Jungfraujoch. Am Anfang können wir einige Meter abseilen, dann verläuft die Route auf einem Grat und wechselt im Stil von "mal ufe, mal abe, mal links, mal rechts...". Auf kurze Kletterpassagen mit luftigen Kletterstellen folgen Traversen im Firn und einmal ein vereistes Couloir. Die Tour beginnt eigentlich erst im Abstieg so richtig. Alles vorher war Tauziehen, Aufwärmen im Vergleich zu dem was die Route über die Eigerjöcher zu bieten hat. Freudiger und ich wagen uns experimentierfreudig ohne Steigeisen auf ein kurzes Schneefeld. Auf dem Bauch liegend und in der Pickelbremse hängend erkennen wir, dass der optimale Moment für die Montage der Steigeisen wohl etwas weiter vorne gewesen wäre. Leander und Jörg haben die Steigeisen schon früher montiert und überholen uns kurze Zeit später.
Bereits auf dem Gipfel hörten wir vom bekannten Marathonläufer der ebenfalls am Mittellegigrat aufsteige und von der Station Eismeer aus gestartet sei. Nun hören wir ihn auch hinter uns und wenig später als wir auf dem Gletscher stehen holen uns Fritz Häni und Maria Heim ein. An der Mönchsjochütte vorbei gelangen wir in die Touristenströme auf dem Jungfraujoch. Japaner fragen am Stollenausgang was da oben zu sehen sei und zeigen Richtung Mönchsjochhütte. Mit Blick auf seine Turnschuhe antworte ich: "just rocks and snow...". Er scheint beruhigt zu sein dort oben nichts zu verpassen.
Es bleiben uns noch einige Minuten um die Aussicht auf dem Jungfraujoch zu bestaunen. Die Windbedingungen auf dem Gleitschirmstartplatz wären gut und ein Flug hinunter natürlich sehr verlockend. Aber eben: "Bergsteigen mit Gleitschirm" ist fast wie "Gletscherwandern in Turnschuhen".
Teilnehmer: André Beyeler, Leander Metry, Jörg Koller, Amédée Cina, Daniel Freudiger, Daniel Christen,
Tourenleiter: André Beyeler
Tourenbericht: Daniel Christen
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