31. Juli 2015
Bern 540 m ü. M. Meine Berggefährten sind ein paar Stunden vor mir aufgebrochen. Die Fahrt im Neigezug von Bern Richtung Milano Expo verbringe ich stehend zwischen stolzen Flugwaffen-Aspiranten aus dem Wallis («fière de l'être!») und in Frischhaltefolie eingepackten Koffern einer arabischen Grossfamilie.
Nach Martigny gelange ich in einen mir noch unbekannten Teil der Schweiz: das Trient. Drollige Bernhardiner Barrys auf Plakaten erzählen von mythischen Heldentaten. Der freundliche Buschauffeur lässt mich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen und stellt mich fast zuhinterst im Val Ferret ab.
La Fouly 1592 m ü. M. Den schönen Campingplatz lasse ich hinter mir und steige auf zur Hütte. Dunkle Wolken und erste Regentropfen treiben mich an, die 1143 Höhenmeter schnell zu überwinden.
Cabane de l'A Neuve 2735 m ü. M. Jürg, Lisbeth, Heidi, Erich, Beatrix, Urs, Dani und Mättu beobachten mein Abmühen der letzten Höhenmeter von oben und heissen mich herzlich Willkommen. Wir sind die einzigen Gäste in dieser urchigen und gemütlichen Hütte. Der beschränkte Raum verlangt nach Ordnung, über die die Hüttenwartin Martine akribisch wacht.
Dass an der 3-tägigen Tour nichts nach Plan laufen sollte, zeichnet sich schon am ersten Tag ab. Die sportliche und bergerfahrene Lisbeth verdaut den Aufstieg schlecht und leidet an Nausea und allgemeinen Unwohlsein – die Arme!
1. August 2015
Heftiger Regen und Wind machen die Überschreitung des Grand Lui zur Saleinahütte unmöglich. Alternativprogramm: Wir steigen ab und fahren mit dem Bus ein paar Stationen zurück, umrunden den Berg. Praz de Fort 1151 m ü. M. Lisbeth verlässt uns leider und macht sich zur Genesung auf den Heimweg. Der Himmel lichtet sich etwas und wir steigen dem zweiten Hüttenziel entgegen. Der steile und mit Ketten gesicherte Weg erinnert an jenen zu unserer Dossenhütte. Der Regen setzt wieder ein und wir keuchen der Hütte nach 2685 Höhenmeter pudelnass entgegen.
Cabane de Saleina 2693 m ü. M. Unser zermürbtes Gemüt wird mit der fantastischen Hütte belohnt. Modern, aufs Wesentliche reduziert, gefällt diese Hütte optisch und ist auf Funktionalität ausgerichtet: Bravo an den Architekten! Das Besondere an der Organisation; Die Saleinahütte des CAS Neuchâtel hat keinen Hüttenwart sondern wird wochenweise von Mitgliedern geführt.
Mit den Neuenburgern zünden wir die hochgetragenen Zuckerstöcke an und verziehen uns bald ins Zimmer. Noch nie war eine Hüttenacht so erholsam.
2. August 2015
Da sich unser Gipfelziel Portalet als Geröllhalde herausstellt, steuern wir nun stattdessen die Petite Fourchette an. Um 6 Uhr verlassen wir die Hütte und steigen zum Saleinagletscher ab. Rutschende Felsblöcke verlangen Konzentration. Auch hier macht die Abschmelzung der Gletscher viele Überschreitungen zunehmend unpassierbar. Wir stapfen Richtung Fenêtre de Saleina und kraxeln über den Grat auf die andere Seite zum Trientgletscher und von dort auf einen bescheidenen Gipfel: Tête Blanche 3421 m ü. M. Das schneelose Berglein wird seinem Namen nicht mehr gerecht.
Es ist bereits Mittag, die Zeit drängt für den Rückweg. Für die «Kleine Gabel» ist es zu spät und wir Seilen uns vom Col Blanc zurück auf den Trientgletscher ab. Jürg vergräbt dafür einen «Toten Mann» im Schnee und seilt uns 20 Meter in die Senkrechte über einen Bergschrund ab. Ein kurzes Seil um einen länglichen Stein gewickelt im Schnee vergraben als Abseilstelle war für uns Teilnehmer eine Neuheit und eine bemerkenswerte Technik.
Bei Sonnenschein laufen wir via Ornyhütte zur Station La Breya 2194 m ü. M. und sind nach den 2181 Höhenmeter froh um die Sesselbahn, die uns nach Champex-Lac bringt. Das verpasste Postauto ersetzten wir mit dem Alpentaxi nach Orsières.
Nichts lief an diesen drei Tagen nach Plan. Ich fand das nicht schlecht. Die Natur sowie unsere mentalen und physischen Grenzen zwangen uns umzudenken und der Sturheit Einhalt zu gebieten. Das macht die Gedanken frei. Eine wahre Guggitour verläuft eben nie nach Plan.
Carla Nyffeler
Bilder: Carla Nyffeler u. Jürg Guggisberg
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